Achim Bahr
Der Begriff Stereoskopie ist eine Wortbildung aus dem Griechischen: stereos bedeutet Raum bzw. räumlich und ist vor allem im Zusammenhang mit Raum-Ton und -Klang gebräuchlich; der zweite Teil des Wortes — von skopein, d. i. sehen, abgeleitet — wird auch in verschiedenen anderen Kombinationen verwendet, die mit Sehen und Sichtbarmachen zu tun haben: Teleskop, Mikroskop, Kaleidoskop usw.
Man bezeichnet mit diesem Begriff alle Methoden und Techniken zur Erzeugung und Wiedergabe dreidimensionaler Bilder, die auf dem Prinzip des natürlichen Sehens mit zwei Augen beruhen: Durch den Abstand beider Augen zueinander sieht man mit dem linken einen Gegenstand aus einer etwas anderen Blickrichtung als mit dem rechten Auge; diese — perspektivisch unterschiedlichen — Ansichten werden im Sehzentrum des Gehirns zu einer einzigen plastischen Wahrnehmung verschmolzen. In der Stereoskopie wird dieser Vorgang mittels zweier Abbildungen nachgeahmt, deren Perspektivität der des Augenabstands entspricht. Um den 3D-Effekt hervorzurufen, müssen diese stereoskopischen Teilbilder den Augen jedoch getrennt dargeboten werden, damit das linke Auge nur das linke und das rechte Auge nur das rechte Bild zu sehen bekommt.
Die Entdeckung der Stereoskopie ist dem vielseitigen Physiker Sir Charles Wheatstone, seinerzeit Professor für experimentelle Naturwissenschaften am Kings College in London, zu verdanken. Neben manchen anderen — wie die des Zeigertelegrafen — geht auf ihn auch die Erfindung der elektrischen Türklingel zurück. Seinen bahnbrechenden Vortrag vor der Royal Society am 21. Juni 1838 Über einige bemerkenswerte und bisher nicht beobachtete Erscheinungen beim beidäugigen Sehen veröffentlichte er im gleichen Jahr — also noch vor Erfindung der Fotografie — als Beitrag in den renommierten Philosophical Transactions; 1852 folgte diesem ersten ein zweiter Teil als Fortsetzung und Ergänzung.
Schon bald nach ihrer Veröffentlichung löste die Entdeckung der Stereoskopie ein unerhört großes Interesse aus und veranlasste zahlreiche namhafte Forscher und Wissenschaftler vor allem in Europa zu weiterführenden Studien und Untersuchungen. Aber auch in weiten Kreisen der Bevölkerung wurde die Stereoskopie durch die Verbreitung dreidimensionaler Bildkarten-Serien und handlicher Betrachtungsgeräte sehr schnell so populär, dass Zeitgenossen von einer Stereoskopmanie sprechen konnten; tatsächlich wurde hier zum ersten Mal das Phänomen eines Massenmediums im modernen Sinn erkennbar.
[1991]